„Die Kinder sind in Sallerie“, sagte Pema. Sie hatte gerade von dem Mann, der die Kinder mit ihren Müttern oder Vätern durch Berge und Täler begleitete, einen Anruf bekommen. „Das ist nicht weit weg“, sagte sie, „wir laufen ihnen entgegen. Der Weg dauert etwa zwanzig Minuten.“
Wie lang sind zwanzig Minuten?
Zwanzig Minuten. Ich war inzwischen skeptisch. Immer, wenn man Pema nach der Zeit fragt, wie lange etwas dauert, wie lang der Weg irgendwo hin ist, sagt Pema „20 Minuten“. Oft wird auch eine Stunde draus. Oder mehr. Nepali-Zeit eben.
Diese zwanzig Minuten dauerten länger. Der Ort war bunt. Viele Läden mit bunten Stoffen, Handwerksbetriebe, Händler, rechts und links der Wege voller Steine und Schlaglöcher. Die Menschen saßen vor den Häusern und waren beieinander, hielten ein Schwätzchen, wuschen ihre Kinder oder die Wäsche. Hühner liefen dazwischen, Ziegen, Maulesel und Kühe. In einer Art Steinbruch saßen Frauen und klopften Steine, um sie zu zerkleinern und als Baustoff verwenden zu können. Das Erdbeben hatte auch hier seine Spuren hinterlassen, allerdings längst nicht so schlimm wie in Katmandu.
Wir fanden die Kinder nicht.
„Das sind sie – das sind unsere Patenkinder“
Pema telefonierte immer wieder mit dem Mann aus den Bergen. „Sie sind oben in Phaplu“, erfuhr sie dann. Wir kehren wir um. Zurück zu unserer Lodge.
Adolf hatte es sich zur Aufgabe gemacht, sämtliche Kinder Nepals mit Bonbons zu versorgen. So kaufte er an jedem Süßigkeitenstand einen riesigen Beutel mit Schleckereien für jedes Kind, das ihm über den Weg lief. Am Ortsausgang gab es beides: Kinder und einen Laden mit Süßigkeiten. Wir warteten, während Adolf seiner Aufgabe nachkam und unterhielten uns derweil mit den Kindern und ihren Eltern. Bis Pema plötzlich von weiter unten am Weg angelaufen kam und rief: „Das sind sie! Das sind unsere Patenkinder.“ Gabi waren eine Mutter und ihre Tochter doch gleich so bekannt vorgekommen. Wir hatten sie gefunden und liefen gemeinsam nach Phaplu.
Es fehlen Schuhe
Ich war froh um die Dinge, die ich den kleinen Jungen und Mädchen sowie ihren Eltern mitgeben konnte. Drei Tage waren sie gelaufen, um uns zu treffen und sie hatten einfach nichts. Schuhe hätte ich mitbringen sollen, dachte ich. Schuhe brauchen die Kinder aus den Bergen am allerdringendsten. Phaplu ist rund 3000 Meter hoch. Wenn die Sonne nicht scheint ist es kalt. Die Dörfer, in denen die Kinder leben, liegen teilweise noch höher. Manche trugen Schuhe. Manchmal passten die Schuhe, oft waren sie einfach zu groß, so dass sie immer wieder raus rutschten. Manche Kinder hatten Sandalen an, andere waren in Flip-Flops unterwegs.
Kuscheltiere, Rucksäcke und warme Jacken
Wir hatten Kuscheltiere mitgebracht, warme Jacken und Rucksäcke, Strumpfhosen, Mützen, Schals und Handschuhe, Pullover und Strumpfhosen, sogar zwei Schlafsäcke und eine Daunendecke konnten wir verteilen. Wenigstens etwas. Zu Hause stehen noch ein paar Pakete mit weiteren Kleidungsstücken. Die werden auch bald hier ankommen. Beruhigend, das zu wissen.
Nach der „Bescherung“ begleiteten wir unsere Gäste wieder in ihre Unterkunft in Sallerie. Ein kleines Mädchen kam zu mir, kuschelte sich an mich und blieb da. Wir liefen den ganzen Weg Hand in Hand.
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