Wenn morgens um 6 Uhr der Wecker klingt, dann ist das früh.
Berücksichtigt man die Zeitverschiebung von Reutlingen nach Katmandu ist es noch früher. Beim Weckerklingeln war es nach Reutlinger Zeit 01.15 Uhr. Warum der Zeitunterschied hier nun genau 4 Stunden und 45 Minuten beträgt, ist mir nicht wirklich klar. Aber früh ist es auf jeden Fall.
Wir wollten um 7 Uhr zu der Familie von Pema und Thienle aufbrechen Der Weg war schon vertraut. Es ist Lhosar. Happy Lhosar. Weihnachten auf tibetisch.
Ein Zimmer für Götter und Gäste
Das Zimmer war für Götter und Gäste vorbereitet. Eine Menge Speisen standen auf dem Tisch für die Götter. Gebäck, Süßigkeiten, Reis, Obst, Getränke. Auch Whiskey trinken Götter genauso gerne wie Rum und Bier. Die tibetischen Götter sind gute Götter: Sie teilen gerne.
Ich durfte mich mit Gabi und Adolf Nill an den Tisch für die „Großen“ (die Alten), die wegen ihres hohen Alters besonders zu ehrenden setzen. Als erstes wurde uns Reiswein mit etwas drin in silbernen Kelchen gereicht. Der nepalische Tee stand schon da. Für uns, also für die „Großen“, In silbernen Gefäßen mit Keramikverzierung für. Die jüngeren bekamen diese Gefäße aus Silber in Holz eingelegt. In besonders schön gemasertem alten glatten dunklen Holz. Und dann gab es Bier für uns. Falls uns der Reiswein nicht so zusagt. Morgens um 7 Uhr.
Göttliche Gastfreundschaft
So aßen und tranken wir in einem fort. Immer wieder wurde nachgeschenkt, nachgereicht. Das Wort „Nein“ gibt es im Nepalesischen zwar und soll dem schwäbischen „Hanoi“ ähnlich sein. Verdreht man die Buchstaben etwas, kommt dann „Hoina“ heraus. Und das, so steht‘s im Reiseführer, sei das Nepalesische Wort für „Nein“. Doch die Nepali kennen es nicht. Sie kennen überhaupt kein „Nein“. Das wäre auch unhöflich. Also lässt man sich nachlegen und nachschenken und lächelt. Was man stehen lässt, bekommen die, die sonst weniger zu essen haben. Gastfreundlichkeit gefällt den Göttern. Viele Speisen und Getränken für viele Gäste wird mit Glück belohnt. Je mehr Gäste und Essen, desto mehr Glück gibt es.
Kartoffeln, Kutteln und süßen Reis
Und so bekamen wir süßen Reis mit einer Wurzel, die es nur einmal im Jahr. Was auch immer es ist – es schmeckt süß.
Es gab Kartoffeln und etwas Kohlrabi-ähnliches. Kutteln und Fleisch und herzhaftes Gebäck. Und immer wieder Nepali-Tee und Bier.
Bevor die Gäste kamen, brachten die Frauen uns jede Menge tibetische Trachten für Männer und Frauen. Die Männer bekamen Fellmützen auf den Kopf und sahen ein bisschen aus wie Dschingis Khan-Krieger. Und auch wir Frauen bekamen die unserem Alter und Ansehen entsprechende Ausstattung.
Gläser voller Glück
Und dann kamen die Gäste nach und nach. Es wurde getanzt und gesungen. Die jüngeren Mädchen führten ihre Tänze vor, die sie einstudiert hatten. Und schließlich sangen alle gemeinsam für jeden einzelnen ein persönliches Lied. Und jeder, dem ein Lied vorgetragen wurde, musste sein Bier- oder Weingefäß auf Ex austrinken. Je mehr man schaffte, desto größer das Glück im kommenden Jahr.
Was mich dabei begeistert hat, war der Spaß, den alle bei Gesang und Tanz hatten. Es waren manchmal mit Sicherheit auch einfach witzige Lieder mit Choreografie, die Geschichten erzählten. Die ich leider nicht wirklich verstanden habe, aber alle haben gelacht. Als wir an der Reihe waren, auch etwas zu singen, entschieden wir uns für Weihnachtslieder. Nicht sehr textsicher, aber schließlich ist Lhosar ein bisschen wie Weihnachten.
Unser Gepäck? Das ist inzwischen da. Wir hatten sogar einen Koffer zu viel mitgebracht.