Die Erlebnisse im 6499 km entfernten Land.
Alle trafen pünktlich am Flughafen in Stuttgart ein – Magda, Joana, Gabi, Adolf und Ich. Im Gepäck 150 Kilo Spendenklamotten und Kuscheltiere. 40 kg für uns Fünf selbst. Flüge waren mir längst bekannt, das Ziel umso weniger. Aber das erste Zwischenziel war vorerst Istanbul – für 5 Stunden. In dieser Zeit dachte ich nach, was mich wohl in Nepal erwarten mag. Schließlich hatte ich mich – typisch Ich – kaum informiert, die Impfungen bin ich zu spät angegangen, mit dem Flug habe ich einen Tag später gerechnet. Ganz nach dem Motto: „Ich lass mich mal überraschen“. Naja ganz uninformiert war ich nicht, immerhin hatten wir uns mit den erfahrenen Nepali Rotznäschen Eltern vorher schon einmal zur Nepali-Suppe getroffen und das Wichtigste besprochen.
Nun zurück zum Istanbuler Flughafen, in den fünf Stunden haben Magda und Ich die Nill’s mit Fragen gelöchert. Ich machte mir mit diesen Erzählungen ein ziemlich genaues Bild von Nepal, dem Ziel unserer Reise. Dort angekommen erfüllte es ganz und gar nicht meine Erwartungen, es war schmutziger, chaotischer und geräuschvoller, doch trotzdem fühlte ich mich wohler als man nun glauben mag. Mich packte das Land immer mehr, mit allen Sinnen (nur der Gedanke mir eine Atemschutzmaske zu kaufen ging mir nicht aus dem Kopf…).
Aber alles von Anfang. Der Flughafen, kleiner als eine Turnhalle, die Zettelwirtschaft schon hier größer, als die in jeder Postfiliale. Die Beamten, die den deutschen Reisepass nicht zu kennen schienen, ließen erst mich, dann Magda zappeln. Aus dem Gebäude hinaus, die herzliche Begrüßung der Rotznäschenfreunde und die traditionelle Übergabe der Blumenketten, die uns für die Fahrt ins Hotel schmücken sollten.
Kathmandu war total verregnet. Wir, ich meine zu neunt, mit viel Gepäck im kleinen, schmalen Toyota-Bus, der schon 30 Jahre die nepalischen Straßen lebt, auf dem Weg ins Hotel. Der Regen ließ die Düfte Kathmandus fast verschwinden, die uns die nächsten Tage erwarteten. Die Verkabelung, die trotz den vielen Verwurstelungen zu funktionieren schien, immer und überall im Blick.
Das Hotel von dem aus die Leiterin Pema, zusammen mit einer FSJ-lerin die Organisation Rotznäschen direkt in Nepal stützt, überraschte mich durch die sehr europäischen Merkmale, die es hat.
In den ersten zwei Tagen erlebten wir das Touristenviertel Thamel und Umgebung. Die Straßen dreckig, staubig, überfüllt und verrußt. Die Häuser nicht höher, als fünf Stockwerke. Die Wohnungen bestehend aus einem Raum so groß, wie ein Zimmer in einer deutschen Wohnung – für eine Familie. Mit dem Motorroller fuhr ich hintendrauf den ersten Spendensack auf dem Schoß in Kathmandu aus. Die anderen kamen zu Fuß nach. Wir wurden dort zum Tee eingeladen. Die Nepalis sind sehr offen und stolz auf das, was sie besitzen.
Wir schauten die Verbrennungsstelle Pashupatinath an, an dem blumig und bunt Gestorbene im Minuten Takt verbrannt und dem Ganges, in Form von Asche, übergeben werden. Wir schauten uns den buddhistischen Affentempel an, der wie so viel anderes noch stark vom Erdbeben geprägt ist.
Ich lernte Tenzing kennen, von dem ich schon vorher viel erfahren hatte. Tenzing ist 25 und taubstumm. Er bekam von Rotznäschen vor ein paar Jahren ein Hörgerät, das ihn ein paar Töne hören lässt. Mit ihm sollten wir mit ins Langtang Gebirge gehen, was am wir auch am nächsten Morgen in aller Frühe taten. Der Jeep war bis obenhin voll, auf dem Dach fanden die Spendenklamotten Platz. Die Fahrt dauerte insgesamt 9,5 Stunden, auf einer Strecke von 80km Luftlinie. Die Möglichkeit sich auszuruhen bestand nicht, da uns der Jeep – besser gesagt die Straßen (Hauptverbindungsstraße nach China) so extrem durchschüttelten. Wir legten unter anderem zwei Stopps ein, um die Spendensachen zu verteilen. Beim ersten Stopp war ich zu vertieft ins Filmen und Fotografieren, dass ich gar nicht wahrnahm, was diese Aktion uns bedeutet.
Beim zweiten Stopp, als ungefähr 25 Kinder aus einem Schulbus ausstiegen, übernahm Magda meine Kamera. Nun überwältigte mich das Gefühl, die Dankbarkeit die mir die Kinder entgegen brachten war unglaublich. Am meisten überraschte mich, dass die Kinder sogar untereinander die Sachen weitergaben, an die Kinder, die weniger bekommen haben. Und das beobachtete ich auch im nächsten Dorf, in dem am nächsten Morgen die Trekkingtour startete. Die Kinder hielten die Sachen den kleineren an den Körper um zu schauen, wem es passen könnte. Das Bergdorf in dem wir übernachteten, war als Halbkreis in den Berg gebaut. Ein kleiner Junge, ich nenn ihn mein persönliches Rotznäschen, hatte gerade einen schicken weißen Pulli erhascht und zog ihn sofort an, lief zum Rand des kleinen Dorfplatzes und rief in voller Lautstärke seine Mama. Überglück kam er mit seiner Mama zurück. Warum Rotznäschen? Na – weil er definitive den Vereinsnamen wiederspiegelte, in dem er beim ein oder anderen Atemzug ein Rotzbläschen produzierte.
Für uns ging es nun in die Berge. Dabei Wusung der Pferdemann, Phurbu sein Papa als Träger, Baldin der zweite Träger – sehr witziger Kamerad und Papa, unser Guide. Dem Papa gehört auch die Nima Lodge, die damals, nach dem Erdbeben, vom Rotznäschen wiederaufgebaut wurde. Doch der Weg dahin war noch lange, es benötigte 3 Tage bis wir dort angekommen waren. Die steinigen Wege sind mit vielen Treppen und Auf und Abs gespickt. Bis dorthin liefen wir auch über das Langtang, das es nicht mehr gibt. Ein riesiger Erdrutsch, während dem Erdbeben 2015, verschüttete das ganze Bergdorf und 50 Häuser und 185 Menschen. Ein großes Denkmal erinnert an die Menschen, die unter Gestein und Eis liegen. Neben dran das neue Langtang, das sich im Aufbau befindet. Nun erreichten wir Mundu, der Ort in dem Papa zuhause ist. In Mundu durften wir ein 200 Jahre altes Haus besuchen. Ein Schock – die Decke rabenschwarz und in dem ganzen Zimmer roch es beißend nach Rauch. Die Kochstelle hatte keinen Kamin und die Teertropfen hingen nur so von der Decke. Heißt, die Menschen kochen mit offenem Feuer im geschlossen Raum, genauso wie man schon als Kind erklärt bekommt, dass dies schnell tödlich ausgehen kann. Der Mann, der in dem Haus wohnte, sah auch überdurchschnittlich alt aus.
Oft spielten wir abends noch lange mit den Trägern Karten.
Am nächsten Tag liefen wir nach Kyanjim Gumba, um den Tag darauf in allerfrühe den Kyanjim Ri zu besteigen – 4400m. Am Abend waren wir bis nach Mundu zurückgelaufen und erlebten die tibetische Tanzkunst, aßen Kuchen und lernten nepalisch zu zählen. Tenzing machte uns eine Pizza, die mindesten 66% Knoblauch enthielt, aber der Boden war hervorragend. Am Tag darauf machten wir uns auf den Rückweg, dieses Mal begleitete uns Mama, die sich in Kathmandu ein Zahn ziehen lassen musste. Nach ungefähr 5 Stunden erreichten wir unser erstes Domizil auf dem Rückweg. Am nun mehr siebten Tag auf Trekking erreichten wir die wohl schönste Lodge im Langtang. Funfact (zu dt. lustige Anekdote): die Bamboo Lodge gehört der Schwester von Mama. Wir nächtigten aber erst 3 Stunden später in einem Hotel in dem Ort an dem uns der Jeep am nächsten Morgen abholen sollte. Ach übrigens, wir hatten seit dem zweiten Tag an bestes Wetter und das am Anfang der Monsunzeit. Die Fahrt nach Kathmandu dauerte wieder eine halbe Ewigkeit. Zuvor deckten wir uns ausreichend mit Süßigkeiten ein, die wir auf dem Weg über das Fenster verteilten, so war die Fahrt ziemlich kurzweilig. Wir hatten auch noch Stifte, die wir an die vielen Schulkinder verteilten, die uns entgegenkamen. In Kathmandu angekommen hatten wir noch drei Tage, in denen wir viel liefen, Rikscha und Taxi fuhren. Wir besuchten Kabina, die von Rotznäschen eine lebensnotwendige Herz-OP in Deutschland ermöglicht bekommen hat. Wir waren an Buddhas Geburtstag in Mitten von 30 Lama Mönchen, die diesen Tag im Hotel feierten. Die Lamas hatten alle einen riesen Stapel an Gebetstexten, die sie im Sprechgesang lasen. Wir besuchten den Basanthapur Durba Square, um dort die lebende Göttin Kumari für das Lebensglück zu besuchen. Damit war auch der kulturelle Part der Reise abgehakt. Den letzten Mittag verbrachten wir beim Picknick auf einer Wiese, die Chenga (Tenzings Vater) am Rand von Kathmandu gehört. Und damit war die Zeit gekommen, sich aus diesem armen, kleinen, aber sehr beeindruckenden Land zu verabschieden. Die Nepalis machen das ganz imposant, indem sie jedem von uns einen Schaal schenkten – naja mehrere Schaals. Die Mitarbeiter am Flughafen hatten viel zu tun, da die Computer nicht funktionierten, aber nicht nur das, auch der Workflow dort ist miserabelst umgesetzt. Ich meine, zwischen Check In-Schalter, an dem die Koffer gewogen werden, und dem Band auf dem die Koffer weitertransportiert werden, liegen mindestens 5 m Weg. Heißt, die Mitarbeiter tragen jeden einzelnen Koffer 5 m um ihn auf das Band zu legen. Aber die Startbahn war lang genug um Richtung Stuttgart zu jetten. Drei Filme – purer Luxus, 7 Stunden Kartenspielen am Istanbuler Flughafen und einen weiteren Flug, trennte uns von Stuttgart.
Zurück in Deutschland fällt einem sofort überall der extreme Stress auf, der unter den Menschen herrscht. Die Bahnhöfe hier sind morgens voll, jeder ist angespannt, entnervt und müde. Aber genau das bringt uns den Lebensstandard, den wir leben, nur bleibt bestimmt auch ein wenig Glück auf der Strecke.
Ein Kontrast zu dem entspannten und glücklichen Nepal.