Evaluierung Damthang-Projekt Nov 2016

Projektreise Nepal November 2016

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Nach sieben Jahren Arbeit in medizinischen Projekten gab es besonders nach den Erdbeben 2015 viele neue Hilfsanfragen an die medizinischen Teams um Dr. Friedrich Feurer, Dr. Rainer und Anne Claußnitzer.
In den letzten drei Jahren waren wir mit unserer Partnerorganisationen HNFF (Himalayan Natural Fibre Foundation) und Ngima Dawa Foundation im unteren Aruntal aktiv, um Health Posts (kleine Ambulanzgebäude) bautechnisch zu verbessern und mit medizinischer Ausrüstung zu versorgen. Auch wurden Dorfbewohner, medizinisches Personal und Freiwillige (volunteers) in Schulungseinheiten unterrichtet; Schwerpunkte waren Hygiene, Erste Hilfe, Ernährungslehre, Frauen- und Kindergesundheit, sowie nach den Erdbeben Disaster Management und Traumabewältigung. Teams in wechselnder Besetzung – Mediziner, Rettungsassistenten, Hebammen, Krankenpfleger/schwester – waren ein- bis zweimal im Jahr unterwegs, um in dieser armen und vom Tourismus nicht wahrgenommenen Region den Menschen Unterstützung und Hilfe zu bringen.

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Tsedar und Bhala, die Organisatoren von HNFF dieser Einsätze begleiteten uns nun ins obere Aruntal, jenen Teil im Makalu-Barun-Nationalpark, der aufsteilt in Richtung tibetischer Grenze. Als Team waren unterwegs Dr. Rainer und Anne Claußnitzer und Judith Strobel. Sie arbeitet derzeit als Volunteer bei der Vorsitzenden der Ngima Dawa Foundation Pema Doma Sherpa in Kathmandu. Pema ist auch Hotelchefin des Kathmandu View Hotels und eine sehr zuverlässige Kontaktperson für die Projektarbeit und für die Kinderpatenschaften des Vereins Nepali Rotznäschen e.V.

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Nach intensiver Vorbereitung in Deutschland reisten wir mit der maximal erlaubten Gepäckmenge nach Nepal. Allein über 30 kg medizinisches Material und Medikamente hatten wir dabei. In Kathmandu wurde noch einmal gesichtet und aufgeteilt, dann flogen wir nach Tumlingtar. Begrüßt und abgeholt von Tsedar und Bhala fuhren wir mit dem Jeep bis Num – dann begann der Fußmarsch. Drei freundliche und hilfsbereite Gepäckträger(Porter) hatten wir, die das viele Material transportierten.

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Schon unterwegs zeigte sich wieder das oft erlebte Kontrastprogramm: in einer beeindruckenden Landschaft leben bitterarme Menschen, die für das Notwendigste des Lebens hart arbeiten. Im steilen, felsigen Flußtal sind die Anbaumöglichkeiten begrenzt, auch Tierhaltung gibt es wenig. Die Schulgebäude unterwegs sind zum Teil noch erdbebengeschädigt, Health Posts sind kaum vorhanden. So gab es schon während des dreitägigen Fußmarschs nach Hatiya (tibetisch Damthang) Vieles zu dokumentieren, nachzufragen und auch zu verarbeiten. Über Gadhidanda, Simma, Gola, Barun Dovan erreichen wir am dritten Tag schließlich Hatiya. Viele Höhenmeter auf und ab liegen hinter uns – aber auch gigantische Natureindrücke! Der wild tosende Arun hat sich ein beeindruckendes Bett gegraben, bei Barun Dovan vereinigt er sich mit dem Barunfluß, ein besonderes Naturschauspiel! Über 4000m steilen die Felsberge ringsum auf und wir wissen, dass hinter diesen Ketten die weißen Giganten Makalu, Baruntse und Kangchendzönga die einzigartige Landschaft prägen.

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Hatiya ist der Geburtsort von Tsedar. Nach acht Jahren sieht er nun einen Teil seiner Familie wieder, entsprechend fröhlich ist die Begrüßung. In einer kleinen Lodge bekommen wir Zimmer. Später erfahren wir, dass die Wirtin gleichzeitig die Tierärztin für die Region ist. Gleich am Nachmittag besuchen wir den Health Post. Das Gebäude ist etwa zehn Jahre alt und in einem recht guten Zustand. Der Healthworker arbeitet seit 16 Jahren hier und ist entsprechend erfahren. Hoch erfreut nimmt er die vielen Medikamente, Handschuhe, Verbandsmaterialien und Instrumente entgegen, denn mit dem Nachschub gibt es die größten Probleme. Von seiten des staatlichen Programms stünde ihm die regelmäßge Lieferung von 36 Medikamenten, Verbandsmaterial und Handschuhen zu. Aufgrund des beschwerlichen Anmarschs und überbordender Bürokratie wartet er oft vergeblich auf den dringend benötigten Nachschub. Wir vereinbaren für den nächsten Tag einen „medical check-up“ der Bevölkerung und die Schulung im Gebrauch des medizinischen Materials. Auch die Hebamme der Region ist anwesend und wird an den Schulungen teilnehmen.

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Gegen Abend zeigt uns Tsedar den Ort, sein Elternhaus und ein sehr altes Kloster. Wie ein oberhalb gelegenes, ebenfalls jahrhundertealtes Kloster war es vom Erdbeben schwer beschädigt. Aufgrund der überwältigenden Spenden- und Hilfsbereitschaft konnten wir hier Geld für neue Dächer bereitstellen. Dies war extrem wichtig, zum einen, um den Menschen einen Zufluchtsort zu erhalten, zum anderen, um die wertvollen Skulpturen und uralten Schriften vor der Zerstörung durch Regen und Schnee zu bewahren. So danken wir nochmals allen, die mit Geldspenden geholfen haben.

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Der nächste Tag verspricht ein volles Programm: Patienten werden untersucht und behandelt, der Healthworker und die Hebamme geschult. Ein breites Spektrum an Befunden sieht Rainer wieder und auch dramatische Auswirkungen der Schamanen-Medizin. Unklare Beschwerden an Gelenken, im Bauch- oder Brustraum werden „behandelt“, indem ein glühend heißer Tierknochen auf die entsprechende Region gedrückt wird. Tiefe Brandwunden sind die Folge; die eigentlichen Beschwerden bleiben natürlich…

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In einem separatem Raum ist Brillensprechstunde. Wegen der grellen Sonneneinstrahlung und hoher Rauchbelastung in den Räumen haben die Menschen ohnehin oft gereizte Augen. Im höheren Alter (hier etwa ab 35 Jahren) sehen sie wirklich schlechter. Besonders Lesebrillen sind gefragt. Das Optikergeschäft Möller in Reutlingen unterstützt uns deshalb schon seit Jahren auf eine besondere Art: Kunden bringen nicht mehr benötigte Brillen ins Geschäft, dort werden sie nochmals ausgemessen, beschriftet und gereinigt. Wir können dann nach einfachen Sehtests mit diesen Brillen vielen Menschen helfen. Dankbar nahmen sie wieder diese Hilfsmittel in Empfang – und wir danken wieder dem Team von Optik Möller und der Volksbank Reutlingen, die sich erstmals an einer Sammelaktion beteiligte.

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Am späten Nachmittag besichtigen wir noch das zweite Kloster und sind beeindruckt vom Zusammenklang dieser uralten Gebetsstätte mit der umgebenden großartigen Landschaft.

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Anderntags steigt das gesamte Team (außer mir) nochmals vier Stunden nach Houngoung (Honggong) auf, um einen weiteren Health Post zu inspizieren. Rainer ist sehr angetan vom Zustand des Gebäudes und der kompetenten Krankenschwester vor Ort. Nach Abgabe von medizinischem Material erfasst er in einer Liste die weiterhin benötigten Materialien und verspricht, diese schnellstmöglich zu besorgen. Auch hier kommen alle abends bewegt und beeindruckt wieder in Hatiya an. Trotz aller Strapazen des Alltags sind die Menschen freundlich und lachen gern.

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Für den nächsten Tag sind nochmals Patienten angemeldet. Bhala, zwei der Träger, Judith und ich beginnen schon mit dem Rückmarsch, während Tsedar, Rainer und ein Träger versetzt nachkommen wollen.
Herzlich ist die Verabschiedung und bewegend die Zeremonien und Segenswünsche. Wieder erleben wir das Auf und Ab des Weges in heller Sonne oder kaltem Wind. Wir klettern über Felsausbrüche nach den Erdbeben, übersteigen mehrere Passhöhen, laufen auf Waldpfaden entlang des Flusses. Wasserfälle speisen den Arun und das Grün der Kardamom-Pflanzen leuchtet hell.

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Hier ist es Zeit, Tsedars Vision für die nächsten Jahre vorzustellen: der Kardamom-Anbau hat in dieser Region Tradition, weil Bodenbeschaffenheit und Klima sehr günstig sind. Bisher bewirtschaften Einzelne kleine Feldstreifen, Tsedar möchte allen Bewohnern der Dörfer die Möglichkeit eröffnen, vom Kardamom-Anbau zu leben. Dazu gehören Genehmigungen, Land neu zu strukturieren und zu erwerben. Dazu gehören Schulungen, damit die Ernten ertragreich sind, dazu gehört ein Vertriebsnetz. Es gehört Ausbau und Nutzung der Wasserkraft dazu, um eine stabile Stromversorgung zu haben und darüberhinaus Strom verkaufen zu können. Mit dieser neuen Einkommenssituation haben die Bewohner eine Perspektive für sich und ihre Kinder. Ein neues Schulzentrum soll entstehen, in dem gute Lehrer unterrichten, die gut bezahlt werden. Wie in den Projekten der letzten drei Jahre sollen wir – die medizinischen Teams – die Gesundheitsversorgung weiter entwickeln und verbessern. Die Ausstattung der Health Posts gehört dazu – personell und materiell – , aber auch wieder die Schulung der Bewohner und besonders der Kinder. Vielleicht beteiligen wir uns an Ausbildungskosten für medizinisches Personal, um einen guten Standard zu implementieren – es gibt viel zu tun…!

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Zurück zum Abstieg nach Num: Judith, ich und das Team erreichen Simma, einen kleinen Ort etwa einen Tagesmarsch von Num entfernt um die Mittagszeit. Große Aufregung herrscht, da ein schwerverletzter Mann mit einer Trage gebracht wird. Er war vom Baum gestürzt und hat sich eine tiefe offene Wunde am Knie zugezogen, die sehr stark blutet. Schnell sind der Healthworker und eine Schwester dabei, ihn zu versorgen. Schmerzmittel wird gespritzt, eine Infusion gelegt. Mit meinen letzten Materialien aus dem Rucksack legen wir einen Druckverband an; dann heißt es warten auf Rainer, der etwa drei Stunden hinter uns auf dem Weg ist. Per Telefon wird er informiert und erhöht das Marschtempo. Nach gut zwei Stunden ist auch er vor Ort. Wir bereiten eine kleine Operation zu Wundversorgung vor und sind froh, nicht alles Material im Health Post von Hatiya gelassen zu haben. Nach gut einer Stunde ist der Patient versorgt. Der Healthworker bekommt genaue Anweisungen für die kommenden Tage, dann nehmen auch wir den letzten Teil des Weges unter die Füße. In tiefer Dunkelheit erreichen wir Gadhidanda – erschöpft, aber glücklich.

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Zurück in Num findet sich bald ein Jeep, der uns in dreistündiger holpriger Fahrt nach Khandbari bringt. Wunderbar stabil und sonnig waren alle Tage und so sehen wir vom Chi-Chi-La aus in großer Klarheit Makalu, Baruntse und alle Nachbarberge leuchten…

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In Khandbari kaufen wir fehlendes Material für die Health Posts ein. Dank großartiger Spenden können wir reich gefüllte Pakete an Bhala und Tsedar für den Weitertransport übergeben – herzlicher Dank wieder an alle Unterstützer!

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Der Rückflug von Tumlingtar könnte nicht schöner sein: klar leuchten die Himalaya-Berge gegen den blauen Himmel – es ist ein Geschenk!

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Abends wieder im Hotel bei Pema treffen wir Tashi Lama von der NGO Heal. Er hatte uns per Mail angefragt, ob im zentral vom Erdbeben getroffenen Gebiet Langtang Unterstützung für den Aufbau eines Health Posts möglich wäre. Er ist sehr engagiert und wir kennen uns von verschiedenen Begegnungen in den letzten Jahren. Erfreuliches kann er berichten: ein erster Teil des Health Posts ist fertig gebaut; demnächst soll die Arbeit dort beginnen. Wir sollen wieder Schulungen übernehmen und zur Aussattung der Einrichtung beitragen. Wir versprechen, mit den Mitgliedern der medizinischen Teams die Situation zu erörtern und wenn möglich, konkrete Unterstützung zu leisten. Auch hier gibt es viel zu tun…!

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Ein weiteres Treffen wegen des Kardamom-Wasserkraft-Medizin- und Schulprojektes in Hatiya steht auf dem Plan. Mit Vertretern der Organisationen HNFF,Partner Nepal, Mountain Institut, Mountainspirit Nepal und Ningma Dawa Foundation sprechen wir über viele Details; es wird ein Langzeitprojekt, was sorgfältig geplant und durchdacht sein muss. Tsedar und Bhala bekommen weiteres medizinisches Material mit auf den Weg, was zügig zu den Health Posts transportiert werden soll.
So neigen sich eindrucksvolle und erlebnisreiche Tage dem Ende zu. Wir werden mit unseren Partnerorganisationen in engem Kontakt bleiben und nach Kräften diese Arbeit fortsetzen.

 

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